Christoph Wittmann


Student, Fußballer, griechischer Heerführer



Ein kühler Abend im Juni auf dem Rathausplatz. Regie: „Das nächste Mal bitte mit Kostüm“. Es treffen ein die schönen Hetären, die Herren Philosophen. Allgemeine Übereinstimmung: Probe findet ohne Kostüme statt – zu kalt. Etwas später – mit quietschenden Bremsen haltend – springt vom Fahrrad – Christoph Wittmann – im Kostüm des Alkibiades. Erstaunter Blick seinerseits. Aha, Kostüm heute nicht erforderlich, wieder aufs Rad und von dannen.

 

Oh, Entschuldigung, liebe Leser, Sie wurden noch gar nicht aufgeklärt. Also –Sie befinden sich mitten in den Theaterproben zum Stück Symposion, welches der Kulturkreis Agenda 21 zu den Europa-Tagen auf die Bühne bringen möchte. Christoph verkörpert den Heerführer Alkibiades, aus der griechischen Antike. Und nun stellen Sie sich vor: Sie flanieren gerade auf der Mainstreet von Essenbach, nichtsahnend, und da kommt Ihnen dieser Heerführer im blauen Gewand, kurzen, wehenden Rockes (denn inzwischen ist auch noch etwas Wind aufgekommen) auf dem Radl entgegen. Verblüfft drehen Sie sich um, und nun sehen Sie auch noch den flatternden Umhang, der an den Schultern befestigt ist. Während Sie gerade überlegen, war es Superman, eine Fata Morgana oder vielleicht schon der 11.11., kommt Ihnen der Radler schon wieder entgegen, diesmal in Jeans, Hemd und Pulli. Sie werden fragen: War das nicht. . . ?
Oh ja, er war’s. 

 

Zurück zum Spielort. Regie durch diese schnelle Reaktion des Spielers im Vorfeld schon sehr angetan: Akteur erfasst sofort die Situation, trifft schnelle Entscheidung, handelt entschlossen – der ideale strategos autokrator, bevollmächtiger Stratege von Athen. Nichts ist aussagekräftiger über eine Person, als die Verhaltensweise eines Spielers bei den Proben. 

Doch zurück zum Stück. Die Probe kann beginnen. 

Um die Flugversuche des Ikarus, dargestellt von Erwin Asenhuber, zu unterstützen, soll Wind erzeugt werden. Dafür stehen frisch geschnittene Zweige in passender Größe in einer Vase bereit. Mit der Aufforderung „fächelt, was das Zeug hält” verteilt Christoph die Zweige an die Mitspieler und gemeinsam fächeln sie dem Darsteller den nötigen Wind zu. So steht der Ablauf im Textbuch. Wieder einmal wird das Stück zusammenhängend geprobt, unter der Prämisse durchzuspielen, egal ob es Texthänger gibt oder andere Widrigkeiten auftreten. Alles klappt und wir kommen zu eben beschriebener Szene. Die Regie erblasst, als sie entdeckt, dass statt frischer Zweige ein verdörrter Mischwald  in der Vase hängt. Wie würde er sich verhalten, wenn es der Premiereabend wäre? Die Stelle kommt. Christoph zieht kurz die Stirn hoch (bei ihm Ausdruck des Erstaunens) zerrt an dem Gestrüpp, bricht die viel zu langen Dörrzweige über dem Knie, dabei immer im Text bleibend und überreicht sie den Mitspielern. Gemeinsam wird nun gefächelt – und die Blätter fallen und fallen. Was bleibt, sind abstrakte, leere Äste und Herbstzeit auf der Bühne!  Höchste Erheiterung und Lachsalven seitens der übrigen Spieler. So perfekt gehandelt, dass es eine Überlegung wert ist, diesen Gag einzubauen!

 

Szenenwechsel – Pfarrheim Essenbach.

Es geht um die musikalische Untermalung des Stücks. Regie leistet Schwerstarbeit, um die Spieler von einem Song aus dem Film „Wer früher stirbt, ist länger tot” zu überzeugen. Endlich zögerliche Zustimmung. Eine Stimme fehlt noch. Christoph – er kommt – wie immer, ein paar Minuten später. „Familienessen” (na wenigstens nicht schon wieder der Fußball).  Der Titel wird also nochmal abgespielt und er ist begeistert. Was wiederum bei der Regie, endlich auf begeisterte Zustimmung zu stoßen, eine emotionelle Welle auslöst, die sich in diesen Worten entlädt: „Bub, ich könnt dich küssen.” Derartige Gefühlsausbrüche einer Frau mittleren Alters sind ihm suspekt. Man sieht es am irritierten Gesichtsausdruck. Schnell begibt sich die Enthusiastin in eine gemäßigte Form zurück, überlegend, welche der zwei Komponenten ihn mehr erschreckte, der Ausruf „Bub” für einen 27-Jährigen oder „ich könnt dich küssen”! 

Dass es durchaus Parallelen von Alkibiades, der Bühnenfigur, zur Privatperson Christoph Wittmann gibt, wird nach einer längeren Unterhaltung mit ihm deutlich. Schon als Schüler am Carossa-Gymnasium Landshut begeisterte er sich für die altgriechische Sprache und die Philosophie und das Interesse blieb. Früher eher kontemplativ und nachdenklich, fühlt er sich jetzt als Student mehr den Epikureern zugehörig, um bei den alten Griechen zu bleiben. Glück, Freude, Lust ist der Zweck des Lebens. Deshalb wollte er sich zunächst auch an der Universität mit Philosophie beschäftigen, doch das Fach erfüllte seine Erwartungen nicht. Christoph, ein äußerst angenehmer, ehrlicher und humorvoller junger Mann erzählt: „Eines Tages saß ich in einer Vorlesung und dachte an meine Kumpels, die jetzt wohl daheim Fußball spielten, während ich mich hier mit so einem abgehobenen Stoff beschäftigen sollte, der mit der Realität nichts zu tun hatte. Was mache ich eigentlich hier?” So wechselte er im 2. Semester zur Politik.

Wie viele junge Leute wusste er nach dem Abitur nicht, welchen Werdegang er einschlagen sollte. Nach dem Wehrdienst bei der Bundeswehr, den er bei den Sanitätern absolvierte, schied ein Medizinstudium definitiv aus. Dazu fehlte ihm die Leidenschaft zu dieser sterilen Welt. Einer Freundin aus Schulzeiten, die ihn mit Infos aus der Uni fütterte, hat er es zu verdanken, dass er sich in München zum Magisterstudium einschrieb. Nachdem er sich von den „philosophischen Korinthenkackern” (O-Ton Christoph) verabschiedet hatte, belegte er zu den Fächern Geschichte und Politik ,Volkskunde als Hauptfach. „Volkkunde oder europäische Ethnologie befasst sich mit der Kulturgeschichte des einfachen Mannes. Man wird zum Wissenschaftler ausgebildet”, erklärt der Studierende sein Fachgebiet. 

2005 geht er als Erasmus-Austauschstudent für ein Jahr nach Italien mit dem primären Ziel, die Sprache zu erlernen. Er studiert das politische System Italiens – es ist gerade Berlusconi/Prodi-Wahlkampf – und das Leben. Italien – ein wichtiger Schritt in seiner Persönlichkeitsentwicklung. Nachdem er aus der Kasernen-Atmosphäre eines katholischen Studentenwohnheimes, geführt von einem egozentrischen Pater im patriarchalischen Stil, in eine WG entfliehen konnte, ist er glücklich. Hier gewinnt er internationale Freunde und pflegt diese Freundschaften bis heute.

Die Stationen Florenz und München sieht er als unglaubliche Chance, die ihm geboten wird und seine Persönlichkeitsentwicklung fördert. Dabei wird sein Fundament immer Essenbach bleiben. Hier sind seine Wurzeln, hier ist Heimat. Der leidenschaftliche Fußballer und Initiator der Europa-Tage identifiziert sich hundertprozentig mit seinen Projekten. Mit Beharrlichkeit konnte er die Redakteure des Bayerischen Rundfunks gewinnen, und die Sendung „Jetzt red i – Europa”  wurde in Essenbach aufgezeichnet. Der Kavalier und Gentleman glänzte durch souveränes Auftreten, ob in der Rolle des Heerführers oder als Moderator bei der Eröffnung der Kunstausstellung zu den Europa-Tagen. Wer mit ihm zusammenarbeitet schätzt seine Fähigkeit, Situationen blitzschnell zu erfassen und mit konstruktiven Vorschlägen zu verbessern. Er sieht bei einem Projekt nicht sich selbst, sondern die Sache. Um Änderungen durchzusetzen, verpackt er sein Anliegen so positiv und charmant, dass es nicht als Kritik auffällt, und nur der ganz aufmerksame Gesprächspartner registriert, dass er die Angelegenheit in seinem Sinne verändern möchte. Das ist die hohe Kunst der Rhetorik und seine ganz eigene Persönlichkeit. 

Im Gespräch mit Christoph, der sich als Familienmensch zu erkennen gibt („Familie und Kinder sind durchaus Prioritäten später in meinem Leben“) erfährt man auch, was ihn in Rage bringt. „Fremdenfeindlichkeit, Kirchturmdenken. Diese stupide Verneinung von allem Fremden, das macht Angst. Und latenter Rassismus. Das sage ich nicht nur, weil es politisch korrekt ist, sondern weil man dem anfangs erst mal hilflos gegenüber steht.” Ein klares Statement! Als vielseitig Begeisterter – Hobbygitarrist bei gelegentlichen musikalischen Auftritten, Organisator von Literaturlesungen, Kabarettist für Weihnachtsfeiern – müsste der Tag für ihn mehr als 24 Stunden haben. „Das kommt daher, weil mi scho  wirklich jeder Scheiß interessiert”, sprudelt es unvermittelt am Ende des Gesprächs aus ihm heraus. 

Aber Christoph, ein breites Spektrum an Wissen ist doch die beste Voraussetzung für eine glänzende Zukunft. Oder wie man bei uns  in Bayern sagt: „Aus dem Bua werd amoi was!”

Dieser Text erschient erstmals im Essenbacher Weihnachtsfenster 2008